· 

Plötzlich und unerwartet…

 

Es war Freitag, der 12. Januar 2018. Ein stressiger, verregneter Arbeitstag, im Grunde genommen ohne irgendwelche besonderen Vorkommnisse. Aber doch unterschied sich dieser Tag in gewisser Weise von den anderen.

 

 

Den ganzen Tag über hatte ich bereits ein flaues Gefühl in der Magengegend verspürt, wusste mir dafür aber keinen Auslöser zu finden. Auch wenn ich versuchte, mich auf meine Arbeit zu konzentrieren und diese Vorahnung aus meinem Inneren zu verbannen, begleitete mich dieses ungute Gefühl unentwegt.

 

 

Als ich zu Hause angekommen war, fand ich die Wohnung verwaist vor. Normalerweise erwartete mich meine Freundin Ingrid um diese Uhrzeit bereits mit einem fertig gedeckten Tisch und einem leckeren Abendessen, aber weil unser Apartment verlassen zu sein schien und sich Ingrid auch auf mein Rufen hin nicht meldete, ging ich zur Kommode, um nachzusehen, ob Ingrid vielleicht noch einmal weggefahren war und mir einen Zettel mit einer entsprechenden Nachricht hinterlassen hatte.

 

 

Dort bemerkte ich, dass das Lämpchen auf dem Anrufbeantworter rötlich schimmerte. Als ich den Hörer abnahm, um die entgangenen Anrufe abzuhören, pochte mein Herz bis zum Hals, denn aus irgendeinem Grund verspürte ich wieder dieses Gefühl der Angst in mir aufsteigen. Dieses beklemmende Gefühl verstärkte sich noch, als ich mehrere Anrufe von Ingrids Mutter in der Anrufliste erkannte. Als ich ihre Nummer wählte, um sie zurückzurufen, wusste ich im tiefsten Inneren bereits, dass irgendetwas Schlimmes passiert sein musste.

 

 

Das Telefon klingelte einige Zeit und als ich kurz davor war, wieder einzuhängen, hörte ich am anderen Ende der Leitung ein Klacken. Ingrids Mutter atmete schwer und sie schien ziemlich bedrückt zu sein. Mit tränenerstickter Stimme versuchte sie die richtigen Worte zu finden, brach aber immer wieder ab: „Philipp“, setzte sie an. „Es hat einen Unfall gegeben. Ingrid ist tot.“ Sie schluckte. Obwohl ich bereits eine Vorahnung gehabt hatte, trafen mich diese Worte wie ein Schlag ins Gesicht. „Ein älterer Mann hat ihr heute um die Mittagszeit an der großen Straßenkreuzung die Vorfahrt genommen. Die Rettungssanitäter konnten ihr nicht mehr helfen, ihre Verletzungen waren zu schwer.“ Ihre Worte drangen gar nicht mehr an mich heran. Mein Kopf dröhnte und alles um mich herum fühlte sich ganz klein und ganz weit entfernt an. Wie angewurzelt stand ich da, ich hatte keinen blassen Schimmer, was ich hätte sagen, geschweige hätte tun sollen. Ingrid, meine große Liebe, die Frau, mit der ich meine Zukunft verbringen wollte, die ich heiraten und mit der ich eine gemeinsame Familie gründen wollte, war tot. Von einem Moment auf den anderen war alles anders.

 

 

Angezogen stellte ich mich unter die Dusche und brauste mich heiß ab. Meine Gedanken drehten sich im Kreis. Das Wasser beschwerte meine Kleidung und der heiße Dampf benebelte meine Sinne. Doch im Grunde wusste ich nicht, wie ich in einer solchen Situation anders hätte verfahren sollen, als mit diesem Weg, den ich gewählt habe.

 

Wie ferngesteuert stieg ich aus der Dusche, trocknete mich ab, zog mir frische Kleidung an, nahm den Autoschlüssel und stieg in mein Auto. Mit Tränen in den Augen fuhr ich zur Unfallstelle, an der Ingrid ums Leben gekommen war. An der großen Kreuzung war alles wie immer und nichts erweckte auch nur im geringsten den Anschein, als hätte sich hier vor kurzem ein folgenschwerer Unfall ereignet und für ein paar Augenblicke dachte ich, dass ihre Mutter sich getäuscht haben musste. Doch ich wusste, dass diese Hoffnung nur eine vergebliche Träumerei war.

 

 

Ich stieg wieder ins Auto und fuhr zuerst planlos umher, dann aber machte ich mich daran, die Orte und Plätze aufzusuchen, mit denen ich schöne Erinnerungen an meine gemeinsame Zeit mit Ingrid verband. Mittlerweile war es bereits dunkel geworden und durch den strömenden Regen, der sich über das Land ergoss, als würde der Himmel mit mir um meine Ingrid weinen, konnte ich die Straßenführung teilweise kaum mehr erkennen.

 

 

Durch meine verweinten Augen und die eingeschränkten Sichtverhältnisse erkannte ich nicht rechtzeitig, in welcher Gefahr ich mich befand. Die Straße war stellenweise vereist und meine leicht erhöhte Geschwindigkeit tat ihr übriges. In einer Linkskurve kam ich von der Fahrbahn ab. Den großen Baum, dem sich mein Fahrzeug rasant näherte, sah ich erst einen Bruchteil von Sekunden vor dem Aufprall. In meinen Kopf spielten sich Szenen aus meinem Leben ab: Meine Kindheit, meine Schulzeit und vor allem auch die gemeinsame Zeit mit meiner Ingrid sah ich in meinen Gedanken im Zeitraffer an mir vorüberziehen. Ich hörte das Bersten von Metall und das knackende Geräusch der Airbags, welche das Armaturenbrett durchbrachen. Mir wurde schwindelig und ich verlor langsam das Bewusstsein. Kurz bevor ich die Augen schloss, breitete sich eine Mischung aus Glück und Erleichterung in mir aus. „Ich komme, Ingrid, ich komme!“

 

        

 

Jasmin Roth & Laura Enderl, G10D

Kommentar schreiben

Kommentare: 0